top of page

Laufen und laufen


Traurig stapfte er durch die Dunkelheit der Nacht, setzte ein Fuß vor den anderen. Er tat was und doch tat er nichts, das Leben wich aus seinen Beinen. Seine Augen sind dunkel und bedacht, spiegeln die Finsternis wider. Seit geraumer Zeit folgt ihm ein kleiner Junge und letztendlich holt er ihn ein und zusammen laufen sie weiter schweigend nebeneinander her. „Was tust du hier so tief in dieser Nacht?“, fragt der Junge schmunzelnd. „Sollte ich dich das nicht fragen, mein Junge?“ Und nach kurzer Zeit fügte er hinzu: „Siehst du nicht, ich laufe.“ Verdutzt sah der Junge zu ihm auf und fragte warum er denn laufe. „Ich laufe, weil es sonst nichts gibt, wofür ich lebe.“ Noch verdutzter darüber schwieg der Kleine und fasste den Mann bei der Hand. Keinerlei Ausdruck in dessen Gesicht. „Du brauchst nicht mit mir zu laufen, ich laufe immer alleine.“, meinte er und der Junge antwortete: „Doch ich laufe auch immerzu, denn ich weiß, dass es für mich einmal nichts mehr gibt, für was ich lebe, deshalb laufe ich, weil ich weiß, dass ich nichts anderes tun werde, was bringt also, mein Leben jetzt noch auszukosten als hätte es einen Sinn?“

„So jung.“, sagte der Mann. „Du bist noch so jung, also liebe dein Leben und mache was daraus, du hast jederzeit die Möglichkeit, statt so zu enden wie ich, also lebe doch.“

„Für was leben, wenn es nichts mehr zu leben gibt?“, fragte der Kleine mit gerunzelter Stirn, während er ein Fuß vor den anderen setzte. „Ich habe alle vergrault und niemanden mehr, alle ließ ich hinter mir und nun bin ich hier, ohne Aussichten.“

Mit starrem Blick antwortete der Mann: „Dann geh und richte wieder alles hin, bitte um Verzeihung und leg dich zur Rast. Nichts ist verloren für dich. Und nun laufe ein letztes Mal heim und höre dann auf zu laufen!“

Eine Weile starrte der Junge ihn an und sagte dann: „Warum läufst du dann noch?“ Zum ersten Mal nahm das Gesicht des Mannes einen verdutzten Ausdruck an.

„Ich bin du!“, schreit der Junge und abrupt bleibt der Mann stehen und blickt in die dunklen Augen des Jungen. Erschrocken starrt er in den Spiegel und sieht sein in Dunkelheit gehülltes Antlitz. „Nichts ist verloren und doch ist alles verloren. Ich fühle und doch fühle ich nichts. Ich hätte alles hinbekommen, so viele Möglichkeiten gehabt und stattdessen bin ich immer nur gelaufen und gelaufen.“ Laut lachte er auf, bis sein Gesicht wieder ausdruckslos in den Spiegel schaute. So stand er unbeweglich in der Dunkelheit der Nacht, setzte kein Fuß mehr von den anderen. Er tat was und doch tat er nichts, das Leben wich aus seinen Beinen. Seine Augen sind dunkel und bedacht, spiegeln die Finsternis wider. Seit geraumer Zeit steht ihm ein kleiner Junge gegenüber und letztendlich bleiben sie schweigend voreinander stehen.

© Paola Baldin

Folgen Sie mir!
  • Facebook Autorenseite ♥
  • Persönliches Profil
  • Instagram
  • Email
Aktuelle Einträge
bottom of page