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Ultimus arbor ("Equilibrium"-inspiriert)


„Die Wärme breitet sich von innen heraus aus, obgleich sie vielleicht von außen herab scheint. Für einen Moment kann ich nichts sehen, nur die breite Helligkeit, die sich um mich legt, mich so festhält als fürchte sie mich zu verlieren, ließe sie ihren sanften Griff auch nur für eine Sekunde locker. Doch was war schon eine Sekunde an solch einem Ort; Zeit war hier bedeutungslos, denn die Endlichkeit ist der Ewigkeit gleich und schlummert noch immer tief in meinen Gedanken. Eine leichte Brise weht mir entgegen, bringt den Duft von verdunsteten Blättern, vom Regen durchnässt, mit sich, lässt mich im Glauben sie flögen auf immer umher. Ein Duft von Freiheit und Wohlwollen. Die Wärme strahlt von der Sonne auf meine Haut, mehr noch aus den Tiefen meines Herzens, denn ich genoss den sicheren Griff deiner Arme um mich, spürte dein ruhiges Herz an meinem Rücken klopfen. Es war an einem warmen Septembermorgen und ich fürchtete meine Augen zu öffnen, somit den Augenblick einer Unendlichkeit zu verlieren und gegen jedwegliche Logik, so noch menschlicher es nicht sein konnte, öffneten sie sich schneller als mein Verstand. Für die kommende wundervolle Aussicht nahm ich selbst den womöglichen Verlust einer Ewigkeit in Kauf. Durch das wandgroße Fenster leuchtete die aufgehende Sonne direkt zu uns hinein und ließ jeden einzelnen Regentropfen rötlich erglitzern, sodass man nicht anders als denken konnte, dass Rubine vom Himmel regneten. In all dieser Schönheit sah ich dein liebliches Gesicht, das sich im Fenster spiegelte, zusammen mit meinem, und ich fragte mich wie ein so grob geschaffenes Wesen wie ein Mann dennoch so sanft und zerbrechlich aussehen konnte. Vor uns lag die weite Welt und es war als stünden wir im ach so weiten Himmel.“ Ihr Blick wich in weite Ferne, hinfort zu jenem Fenster, in die Arme ihres Mannes. Doch dann sah sie mehr in jenem Fenster und ihre Mine verfinsterte sich. „Doch wie du weißt, hat alles seinen Preis. Als sie mit einem lauten Knall die Türen stürmten, Befehle durch die Wohnung hallten, verdunkelte sich die Sonne hinter einer kleinen Wolke, die man nie zu beachten gedachte und ohne ihr liebliches Licht fielen die Regentropfen einsam in die eigene Finsternis, in die sich auch dein abwendendes Gesicht wandelte; wie ein grauer Schleier, der sich über dich legte und immer weiter von mir fortzog, hin zu jenen, die verantwortlich für all das Chaos waren. In unserer Welt gab es die berüchtigte Freiheit lange nicht mehr, es gab kaum noch Farben, kaum Natur; der Baum vor unserem Haus war einer der letzten, die noch existierten, und ich liebte ihn als wäre er ein Teil von mir und dir, ein kleiner Funke von Menschlichkeit, von Hoffnung, umgeben von kaltem Stein. Sie nahmen uns alles. Unsere Freiheit, unsere Kreativität, unsere Identität. Sie fühlten sich dadurch mächtig, unbezwingbar, vergaßen durch ihren Hochmut jedoch eine entscheidende Sache. Sie konnten uns die Natur nehmen, doch nicht das kräftige Strahlen der Sonne. Sie konnten uns die Freiheit nehmen, nicht aber unsere Leidenschaft. Das Fenster zerbarst unter Schüssen und ich drehte mich um, nicht der Herkunft der Schüsse, sondern deinetwegen. Die Tränen in meinen Augen konnten mein breites Lächeln nicht schmälern, es gehörte allein dir. Sie konnten uns einen Menschen nehmen, aber niemals die unbändige Liebe zu ihm. In ihrem blinden Gehorsam vergaßen sie, dass nicht alles tötbar war, so würden sie nie Gefühle ungeschehen machen und so sehr sie sich auch bemühten alles auszulöschen, was ein Mensch bereits in die Welt geschrien hatte, würde dort auf ewig verweilen. Und so war ich Sünde in deren Augen, begang Fehler, die nie zu verzeihen waren. Ein brennender Schmerz durchbohrte plötzlich meinen Magen, gefolgt von vielen weiteren. Schüsse durchbohrten mich, meine Füße spürten keinen Halt. Sie beschuldigten mich der einzig wahren Todsünde. Mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen, rot und nass, als spränge dein Herz mir hinterher, wie ein Schuss durch deine Brust, stolpertest du auf mich zu. Zu spät, mein Liebster, so greifbar ich auch schien war ich Höllen und Himmel von dir entfernt und so blieb dir nur ein fallender Blick auf mich, schluchzend und weinend, bewusst deiner einzig wahren Hilflosigkeit. Sie töteten mich – für eine Todsünde gab es nur den Tod – und ich wehrte mich nicht, denn wenn Liebe, selbstlos und rein, tatsächlich die schlimmste Straftat war, die man begehen konnte, so habe ich sie gerne für dich begangen. Deine Tränen fielen mir hinterher. Der Blick eines geliebten Menschens – was würde man sonst in seinen letzten Sekunden sehen wollen. Die schlimmste Straftat, die ich immer wieder begehen würde, denn meine Liebe zu dir ist untötbar.“ Noch auf dem Boden zusammengekauert riss sich mein Körper zurück in die Vernunft. Immer wieder hatte ich diese Attacken, die mich zu Boden rangen, mir Bilder in den Kopf schossen, mein Herz fast zum Zerreißen brachten. Aber dann, dann war es wieder wie ausgelöscht und sobald die Attacke vorüber war, konnte ich mich kaum noch daran erinnern was sie war, wie sie sich wohl anfühlte. Ich stand auf, kämmte mir die Haare zurecht, wischte mir den Schweiß von der Stirn und schaute sie direkt an. Sie begann zu zittern. Ihre Stimme zitterte. „Ich sah diese Augen, hilflos und verzweifelt, doch diese hier sind es nicht. Sie sehen mich nun so kalt, so leer an. Was hast du getan, Aiden, dass du mich ansiehst wie jene, die mich töteten? Ich sehe deine Augen und ich sehe, dass du nicht fühlst.“

Und ich fühlte auch nichts, selbst wenn es vielleicht anders war als sie hätte denken können. Ich sah sie lange an. Sie musste eine wunderschöne Frau sein, deren Haar erst richtig zur Geltung kam, wenn es im Chaos lag. Ich verknüpfte mit ihr Erinnerungen aus weit vergangenen Tagen, einst, als ich mein Herz noch zu schlagen verspürte, als mich etwas Ungreifbares wie von innen heraus umschloss, das aber gut gewesen sein musste, das mir Kraft und Mut gab und nur dann auftrat, wenn sie in meiner Nähe war oder ich an sie dachte. Nun aber war in meiner Brust nur Leere und selbst das war schon mehr als eigentlich existierte. Ich erinnerte mich jeden Morgen gelächelt zu haben, wenn ich neben ihr erwachte. Auch Gerüche schien ich zu genießen, so wie den Duft des Baumes vor unserem Haus, den sie jeden Morgen durch das große Fenster hereinließ, wie sie mich dann über ihre Schulter hinweg anlächelte und es war etwas Besonderes in ihrem Blick, das ich nun nicht deuten konnte. Es gab keinen Grund jemanden so anzusehen, es gab keinen Grund so zu lächeln. Sie nannte es Liebe, doch wie bei jedem anderen Gefühl, war es für mich wie ein leeres Gemälde. Ich wusste, dass dort etwas abgebildet sein musste, aber das war es nicht, es war nicht einmal weiß, es war nichts, ich hielt nichts in meinen Händen und doch lag dort etwas. „Es quält mich.“, flüsterte sie. Mich aber quälte es nicht, dennoch wusste ich instinktiv, dass etwas nicht stimmte, dass etwas falsch sein musste. Es war seltsam zu wissen, dass man einst etwas in sich besaß, das nun aber nicht mehr vorhanden war, dennoch wie aus der Brust strömte und stumm nach Erlösung schrie. Es zog mich in die Richtung ihrer Augen, die das große Fenster wiederspiegelten, uns, wie wir im wärmenden Himmel standen, während Rubinen hinabregneten und mein Herz noch schlug. „Aiden.“ Ihre Stimme klang entrüstet und so sah sie mich jetzt auch an, ihre Augen schienen jedoch in meinen etwas zu suchen, das weit, weit dahinter lag und begriffen, dass sie es vermutlich niemals finden würden. „Warum? Warum hast du mich nicht gerettet? Warum hast du mich nur vergessen?“ Die Attacke durchströmte mich, ich sah mich nach vorne stolpern, aus dem Fenster lehnen, deine nassen Augen mit dem liebenden Lächeln. Der Schmerz stach durch meine Brust. Ich spürte noch wie ich auf ihre Frage hin entsetzt den Kopf schüttelte, das Wort „Nein“ auf meinen Lippen, und dann war es so plötzlich vorüber wie es auch über mich kam und es hinterließ nichts. Eine Träne kullerte über ihre Wange, ein nasses Etwas, das einst auch meine Wangen entlang glitt. Sie war eine wunderschöne Frau, sie war meine Frau. Wie konnte ich dabei nichts fühlen? Vorsichtig hob ich die Hand, hatte auf einmal das Bedürfnis ihr Gesicht zu berühren, doch stockte. Das Gesicht verschwamm, der Körper, das Haar löste sich auf, die großen Augen wurden schmal, und vor mir stand nun nicht länger sie, dort stand er. Der Mörder. Der Mann, der sie und meine Gefühle auf einen Schlag umgebracht hatte. So lange jagte ich ihn, setzte ihn mir als unvermeidliches Ziel; er veränderte alles und auch wenn ich vergaß aus welchem Gefühl heraus ich ihn tatsächlich jagen wollte, wusste ich, dass er etwas Grausames getan hatte. Die immer wiederkehrenden Attacken verrieten es mir. Er hatte sie der Todsünde beschuldigt und die Todsünde war nichts anderes als ihre Liebe zu mir.

Dies war der eine Moment, auf den ich so lange gewartet hatte,die längst fällige Erlösung dieser Attacken und das Unwissen dahinter, die Rückkehr von alledem, was einst war, und dessen Verlust für mich wohl grausam sein musste. Immer wieder sah ich mich durch ihre Augen, aus dem zerbrochenen Fenster lehnend, verzweifelt, hilflos. Ich wollte wieder ihr Gesicht spüren und das Kitzeln ihrer Haare im Wind, der den Duft des Baumes herein bläst, ich wollte dein Lachen verstehen und das Besondere in deinem Blick, deine Tränen, wollte sie stehlen und über meine eigenen Wangen fließen lassen, sie schmecken, wenn sie über meine Lippen tropften, selbst den Schmerz der Liebe wollte ich mich durchbohren lassen, nur um dich endlich wieder lieben zu können. „Es tut mir leid.“, sagte er mit kalter Stimme. Im Bruchteil einer Sekunde lag er in meiner tödlichen Umarmung, meine Finger umschlossen fest das Messer, das durch seinen Bauch glitt. Meine Lippen berührten leicht sein Ohr: „Sie wissen doch nicht einmal, was das wirklich bedeutet.“ Die Männer stehen in unserer Wohnung, ihre Waffen sind auf meine Frau gerichtet, sie dreht sich nur langsam zu mir um, sie sieht nur mich an, als stünde niemand anderes in diesem Raum. Ihre Augen nass und doch strahlen sie durch das liebevollen Lächeln ihrer Lippen. Sie fällt. Sie fällt und fällt. Sie wendet nicht ein Mal den Blick von mir ab. Er durchbohrt mich. „Und Sie werden es niemals.“ Ich drehte das Messer und er fiel dumpf zu Boden. Mit geschlossenen Augen verharrte ich, stellte sie mir vor, erwartete eine erneute Attacke, eine Welle, die mich mitreißen würde, Gefühle, die wild auf mich einschlagen würden, anders als sonst, besser, beständiger. Wärme. Angst. Kälte. Liebe. Zorn. Ich erwartete das Lächeln, die wärmende Sonne auf meiner Haut. Ich dachte an die Liebe, an unseren ersten Kuss und das Strahlen in deinen Augen, wenn du den Baum ungläubig immer auf ein Neues mustertest, dein leises Summen, wenn du dachtest, du wärst unbeobachtet, heimlich und doch so melodisch, ich erwartete den Schmerz deines Fehlens und mein aufblühendes Herz, wenn ich an deine Stimme dachte. Wie es sich anfühlte traurig zu sein, glücklich zu sein. Mein Herz würde fröhlich zerspringen, weil es sich an den Duft deiner Haare erinnern würde. Doch nichts dergleichen geschah. Stille geschah. Vorsichtig schaute ich auf, sogleich fiel mein Blick herab und ich stolperte rückwärts, denn ich hatte nicht erwartet, was ich dort nun sah. Lange verharrte ich, unbeweglich. Es war zu still und immer wieder spukte mir die Frage durch den Kopf: „Warum?“ Warum konnte ich jemals glauben in einer Welt zu existieren, in der es sie längst nicht mehr gab? Zu meinen Füßen lag eine Antwort, eine Antwort, die ich verdrängt hatte, die ich nicht verstand und sie doch alles war, ein unbemaltes Gemälde, das nicht einmal weiß war und doch lag es zu meinen Füßen und wartete darauf betrachtet zu werden. „Aiden. Warum hast du mich nicht gerettet?“ Ich kann an nichts anderes mehr denken, als an ihre zitternde Stimme. Sie stürzen in die Wohnung, schreien wild durcheinander. Du schaust noch aus dem Fenster, drehst dich nur langsam zu mir um, siehst nur mich an, als stünde ich alleine da und um mich herum wäre Leere. Deine Augen sind nass, dennoch lächelst du und ich verstehe es nicht, denn Angst lähmt meinen Körper, lässt den Atem stocken. Ich sehe Schüsse, die das Fenster zerbersten, die dich durchbohren, bevor ich sie noch hören kann und in deinen Augen liegt das grausame Entsetzen, das sich in mir weiter ausbreitet. Ich stolpere entsetzt nach vorne, kann dich noch fangen, es ist als spränge mein Herz, wie ein Schuss durch meine Brust, dir hinterher, als könne es dich retten, während ich längst am Rande sitze, du aber fällst und fällst und Himmel und Höllen zwischen dir und mir bildest. Dein Blick durchbohrt mich. Du fällst von mir fort, mein Herz, meine Tränen, meine Gefühle mit dir in unerreichbare Weiten und kehren nie mehr wieder. Ich verlor alles an einem düster gewordenen Septembermorgen, seit dem meine Welt nun grau ist und ohne dich auf immer bleiben wird.

Diese Kurzgeschichte fand ihre starke Inspiration in dem Film "Equilibrium".

© Paola Baldin

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