Das Vierphasenmodell oder Folgen eines Flügelschlags (Fortsetzung von "Der Flügelschlag eines S
"Elise..." Plötzlich höre ich nichts.
Der Boden fängt an zu beben, der ganze Grund wackelt als wolle es mich auf die Knie zwingen, das Geschirr in den Vitrinen klappert wild, Teller zerbrechen, Lampen nur noch am seidenen Faden. Ich schaue zu den anderen, die Gesichter verzogen, ausdruckslos, keine Gesichter. Schrille Töne ziehen sich durch die Luft. Ein Knall hinter jeder Ecke erschreckt mich. Solch vertraute Stimme spukt in meinem Kopfe und ruft "Elise!", doch Elise kann nicht folgen und ich breche nieder, halte die Ohren vor so zerberstendem Lärm und stürze hinab durch Beton, zusammen mit all meinem Habe und sie stehen oben und schauen mir zu, die Wesen ohne Gesichter.
Ich falle und falle bis ich pralle wieder auf harten Beton. Was ist nur passiert, nichts ist und doch ist so viel. Die Küche still, als wäre nichts geschehen, kein Ton entflieht der Ruhe nach dem Sturme. Ich ertrage den Anblick des Tisches, inmitten seiner Einsamkeit, nicht und werfe ihn zu Boden, all die Stühle hinterher, bis auf einen. Warum ich das tue, Gefühle drängen mich, Schuld kommt und Tränen füllen meine Augen. Was geschieht?
Und ich setze mich nieder auf jenen einen Stuhle und blicke zur Türe hin, gespannt, was nur passiere, ob jener einer, der bestimmt dazu, durch jene Türe schreite und die Zeit verrinnt und Tage gehen, unentwegt der Regen fällt. So langsam und ruhig fiel die Welt in ihren erleichternden Schlafe und Stille setzt sich tief greifend in mein Herz, sodass ich denken müsse, nicht mehr zu atmen. Nach so langer Zeit voller Bedauern breitet sich in mir das Bewusstsein aus, dass nur mir allein bestimmt ist, jene Türe zu öffnen und diesen, der dazu bestimmt, zu finden und ihn endlich wieder kehrt zu holen, dass Wärme erneut durch meinen Körper fließe.
Meine Füße tragen mich schneller als mein Verstand es je war, schon sehe ich meine Hand die Klinke greifen, um dem Sturm einer banalen Dramaturgie entgegenzutreten, selbststrafend durch das Wissen der Ungewissheit. Die Türe öffnet sich einen kleinen Spalt und immer weiter, je größer, desto lauter der heulende Wind, der um sich peitscht und selbst das Licht der Blitze bleibt in der Dunkelheit des folgenden tiefen Donners, der sich durch den Boden zieht. Nebelschleier kriechen mir entgegen und ein Rabe, mich so aufmerksam mit schiefem Kopf betrachtend, fliegt verzweifelt krächzend davon, ein bunter Schmetterling kaum merkbar ihm hinterher.
Und dann geschieht es so, dass meine Augen sich langsam niederlassen und wie ich so hinabsehe erblicke ich, was liebende Augen nie erblicken sollten und der laute Sturm bringt erdrückende Stille, die lauter schreit als jeder Lärm.
Es folgt ein unumgängliches Denken. Was hat man schon zu erwarten, wenn Dinge passieren, die unumkehrbar sind, Türe sich öffnen, von denen man weiß, was dahinter auf einen wartet, was hat man für eine andere Möglichkeit als die der Akzeptanz, geliebt für ihre bringende Erleichterung.
Doch bei aller Akzeptanz, was bringt dir, wenn du schmerzlichst vor dem Grabe eines Menschen stehst, der einst so fröhlich strahlend in deiner heilen Welt verweilte, der so wichtig war, dass es kein Leben ohne geben sollte; der dir alles und so viel mehr bedeutet. Es ist nicht nur Sage, dass Liebe den Tod überlebe, doch Tod schafft Leere und Leere wird mit Liebe gefüllt, Liebe zu einem Menschen, der nicht mehr existiert und zurück bleibt Leere.
Ich sitze vor seinem Grabe und keine Akzeptanz steht hinter mir und tröstet mich. Nie wieder wird er kehren. Also sage, du Gesicht, mir nicht, mit etwas abzuschließen, dass auf immer präsent in meinem Blicke läge und meine nicht zu wissen, was der Schmerz einer leeren Liebe sei, wenn du ihn nicht gespürt. Keine Liebe ist wie die andere und so sollten wir nie urteilen über jemandes Herz, denn man kennt nur sein eigen.
Leugnung, Kontrolllosigkeit, Suchen und Finden, Akzeptanz.
Das Vierphasenmodell ist nichts als ein Kreislauf, auch wenn kein Zweifel bestehe, dass mein Leben weiter laufe, doch auf ewig wird die unumgängliche Wahrheit vor jener Türe warten und nicht weniger schaurig werden mir die Worte eiseskalt über den Rücken laufen wie an jenem bittren Tage und jeden Tag, wenn ich vor deinem Grabe steh.
"Elise...", sagten sie. "Es ist etwas Schreckliches passiert."
© Paola Baldin