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Der kleine Junge und das Schäfchen


Es gab einst ein Schäfchen, das friedlich und rein in einer plötzlich gebrochenen Welt erwachte. Vom Tage zur Nacht und wieder zum Tage musste es feststellen, dass seine ganze Familie doch ohne ihn weiter gezogen war. Zurück blieb das Schäfchen, einsam und allein, mit nichts als den frischen Spuren im Felde, mit nichts als einer himmelblauen Decke ums Fell. Hurtig folgte es also den Spuren, mit Hoffnung im Blick, er könnte sie noch einholen. Doch wie alle wissen, verloren sich die Spuren schnell wie im Sande, schnell erlosch auch der Schimmer in des Schäfchens Augen, ward aber vergessen beim Geräusch von Gelächter, das so laut nur von jungen Ziegen stammen konnte. Den Verlassenen lockte es, denn wenn sie so lachten, so mussten sie doch nette Geschöpfe sein. Es eilte zu ihnen, aufgeregt und freudig, als die Ziegen dann plötzlich verstummten und es mürrisch musterten.

„Hey du!“, rief eine von ihnen und neugierig reckte das Schäfchen den Hals. Konnten sie wohl seine neue Familie sein? „Was hast du da nur für ein kindisches Deckchen?“

So rissen sie es ihm weg, warfen es hin und her und hin und zurück und erst als der Abend dämmerte und das Schäfchen erschöpft schon am Boden lag, ließen auch sie es mitsamt seiner Decke alleine zurück. Die Nacht war kalt und der Wind peitschte dem wieder Zurückgelassenen um die Ohren, fröstelte ihn durch das dickste Fell trotz seiner Decke, sodass er nur schwer Schlafe fand.

Am Morgen, als die Sonne schon hell am Horizont schien, spürte das kleine Schäfchen etwas Nasses auf dem Fell und als es die Augen öffnete, hüpfte ein fröhlicher Hund umher, bellte freundlich, sprang vor und zurück.

„Komm spielen, Schaf!“, sagte er immer wieder hechelnd und so strahlte das Schäfchen glücklich, sie spielten zusammen fangen und obgleich es immer verlor, so hatte es doch endlich jemanden gefunden, dem es wohl wichtig war. Von diesem Gedanken gerührt schloss es zufrieden lächelnd die Augen, genoss das Strahlen der Sonne für diesen einen Moment und als es wieder aufblickte, da war der Hund von dannen gezogen. So wartete das Schäfchen, wartete und wartete mit gesenktem Kopf, und erst als der kalte Wind der Nacht einsetzte, wusste das Schäfchen, er käme nicht zurück. Verängstigt von den aufziehenden dunklen Wolken und dem tiefen Grollen dahinter, suchte es sich im Wald ein Versteck und traf dort tatsächlich ein nettes Geschöpf.

„Hallo du kleines Ding, was läufst du so alleine im Sturm umher, du musst doch frieren! Komm mit mir, dort ist es sicher. Mein Name ist Frau Wolf.“, sagte sie mit beruhigender Stimme.

Frau Wolf war so liebevoll und freundlich und bot ihm wirklich ein Zuhause, schön und warm und liebend. Sie war so nett und wich nicht von seiner Seite, spendete ihm Wärme in der kleinen Höhle. So schlief es behütet langsam ein, doch ein lauter Donner riss es aus seinen Träumen und es blickte in das aufgerissene Maul von Frau Wolf und schnell, ganz geschwind rannte es zick zack durch Gebüsch und Gestein, wo der Wolf ihm niemals folgen konnte und es rannte noch eine weitere Stunde weiter. Außer Atem und völlig erschöpft ließ sich das Schäfchen auf einem Hügel nieder, unter dem Schutz eines großen Baums. Dennoch durchnässt vom donnernden Regen lag es nun da, müde und niedergeschlagen, immer noch einsam, von allen verraten, von allen verlassen, und verstand nicht was es nur falsch gemacht hatte, warum er von niemandem geliebt werden konnte, im Gegensatz zu ihm. Und so weinte es und weinte bitter, bis es in den Traum des Schlafes glitt. Es träumte von den anderen Schafen, seiner Familie, die ohne ihn ging, den gemeinen Ziegen, den dunklen Wolken und dem schweren Regen auf dem Fell, dem fröhlichen Hund, der plötzlich nicht mehr war. Es träumte von Tränen und dem riesigen Maul des Wolfes, die scharfen Zähne. Es träumte alleine zu sein, mit nur seinem himmelblauen Deckchen als einzigen Freund.

Doch plötzlich spürte er einen hellen Sonnenstrahl wärmend auf seinem Fell und verwirrt blickte es auf. Vor ihm stand ein kleiner Junge mit roten Bäckchen und lächelte das traurige Schäfchen glücklich an, wortlos nahm er es in seine Arme, drückte es bedingungslos liebend an seine Brust, als hätte er etwas lang Verloren und Vermisstes endlich wieder gefunden, und gemeinsam schliefen sie unter der hellen Sonne unter dem schützenden Baum glücklich und wortlos gemeinsam ein und erwachten nicht wieder, in einem wundervollen Paradies fernab unserer Welt, in einer lieblichen Ewigkeit. Das Schäfchen war endlich Zuhause und wurde geliebt.

In Gedenken...

© Paola Baldin

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