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Die Legende der Blutrose


Der Himmel tat sich auf wie tausend dunkle Wolken, die einzig dafür geschaffen waren hinfort zu ziehen, um die grellen weiten Sonnenstrahlen herunterzulassen und alles Trübe hinfort zu treiben; wohlige Lichter, begleitet von fröhlichem Gezwitscher farbenfroher Vögel, entferntes Lachen spielender Kinder und der Geruch von saftig grünem Gras. Rote Rosen, die vom Himmel regnen und jede kleine Note findet ihre warme Melodie; wie das Wasser im See seicht vor sich hin plätschert, sorgenfrei, im Einklang mit Fisch und Gestein; wie kräftig sich das Blau des Himmels auf der Oberfläche spiegelt und als kleine weiße Punkte schimmert; wo Wärme und Kälte genügsam Hand in Hand gehen, unverfroren, unverbrannt. Schmetterlinge schlagen geschmeidig mit ihren großen Flügeln, ruhen still auf saftigen Blumen, während rosige Blüten im Winde zart von ihren Bäumen fallen. Die Zeit stand still.

Ich erinnere mich an dein weiches Haar und wie duftend es so nah an meinem Gesicht vor sich hin wehte, dass es mich schon zu kitzeln schien und es war, als läge all die Schönheit unserer Umgebung allein in deinen Augen, denn sie strahlten mir entgegen wie es nichts anderes vermochte. Und ich wusste, dass du mich so liebst, wie ich es jede einzelne Sekunde unserer gemeinsamen Zeit getan habe, unerschütterlich, so schwer es auch immer schien, denn erinnerst du dich noch an unseren ersten großen Streit? Daran wie laut du mich angeschrien hast, mich vor lauter Wut umhergeschubst hast? Du dachtest, ich würde einfach gehen, dich alleine lassen, doch das habe ich nicht. Und weißt du noch, als ich einst zu unserem Jahrestag erst viel zu spät aufgetaucht bin, weil ich noch eine gefühlte Ewigkeit überall nach deinen Lieblingsblumen suchte, dessen Legende, sie hielten ein Leben lang, dich so faszinierte, und ich letztendlich mit einem großen Strauß jener seltenen Blutrosen vor dir stand und sich all die Wut in das Strahlen deiner Augen verflüchtigte? Du hast befürchtet, ich würde nicht auftauchen, hätte unseren besonderen Tag vergessen, aber das habe ich nicht. Ich erinnere mich an den Sommer vor drei Jahren, in dem ich in Arbeit versank, als ich in tiefster Dunkelheit erst heim kam und in der Dämmerung schon ging. Ich erinnere mich, oft mit dem ersten Sonnenstrahl erwacht zu sein, der auf dein friedlich schlafendes Gesicht hinabschien, das ich immer aufs Neue bestaunt, jeden Morgen mit unbemerkten Küssen überschüttet habe, bevor ich ging. Ich wusste, du dachtest, ich würde dich vernachlässigen und mich immer weiter in Arbeit stürzen, aber das habe ich nicht, denn ich führte dich trotz allem jedes Wochenende aus und hinterließ dir immer kleine Briefchen, damit du nach dem Aufstehen wusstest, dass ich an dich dachte. Das weißt du doch noch. Vielleicht glaubst du es mir selbst heute nicht, aber eine deiner schönen Blutrosen ist Beweis dessen, denn heimlich nahm ich sie mit in mein Büro und immer noch pflege ich sie liebevoll in einem kleinen Glas, direkt neben meinem Lieblingsbild von dir, auf dem du so glücklich lächelst, in beiden Armen der Blumenstrauß, den ich dir schenkte.

Erinnerst du dich noch an danach, an schönes Italien, Venedig, und wie furchtbar wir uns nur verfahren hatten, weil du die Karte falsch gelesen hattest? Du warst so überzeugt davon, richtig zu liegen, hast deine Meinung verteidigt wie eine Löwin ihr Kind und warst nicht davon abzubringen, zu denken, ich sei dir böse, würde kein Wort mehr mit dir wechseln, als du deinen Fehler bemerktest, aber das habe ich nicht; nur musste ich heimlich schmunzeln, als ich dein rotes beschämtes Antlitz sah, so wütend und niedlich zugleich, die Frau wie ich sie kannte, die Frau die ich so liebte, die wie aus einem Traum entsprungen war und mich so erfüllte, dass ich zu mir selbst auch fand, durch nur einen liebevollen Blick von dir.

Und jetzt sehe ich in deine vor Entsetzen aufgerissenen Augen, dessen Blick aus unaufhaltbar entschlossenem Vertrauen besteht und du weißt, dass ich dich rette, weil ich dich immer gerettet habe, wenn du kaum noch Hoffnung sahst. Und während ich versuche das Schlagen deines Herzens zu beleben, deine Lungen mit meinem Atem zu füllen, weiß ich, dass ich dich retten kann und ich rette dich, küsse dich tausende Male, lasse dich nie wieder los, bin am Morgen da und auch am Abend, schenke dir die schönsten Blumen, jeden Tag, wir gehen in die schönsten Parks und lachen über vieles, wir sind da und lieben uns und leben mehr als wir es jemals taten. Und wir lachen über alte Streitereien, erinnern uns zurück an schöne Zeit, an die Schneeballschlacht im Winter, wie du mich lachend verfolgtest und mich einfach nicht trafst. Wie befreiend sich die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings auf der Haut anfühlten und der kommende Sommer in voller Pracht erblühte und nur durch dich diese Bedeutung bekam, durch deine liebliche Art, den Tag zu begrüßen, deine Fröhlichkeit trotz all den Sorgen. Wie oft ich dich betrachtete, ein Antlitz wie man es kaum sah, ein Glück von dem man niemals dachte es besitzen zu dürfen und es dennoch tut. Du hast mir so viel Schönes geschenkt und all das werde ich dir zurückgeben, dich mehr lieben als je zuvor und bis in alle Ewigkeit. Wir gehen Hand in Hand durch den Rest des Lebens, unzertrennlich liebend, der Sonne entgegen. Doch ich habe es nicht.

Ich habe dich nicht gerettet.

Es wird keinen blauen Himmel geben, keine Wärme auf unserer kalten Haut, keine Rosen, die von oben regnen, keine lachenden Kinder, die unsere hätten sein können. Kein Duft von saftig grünem Gras und bunten Blumen, keine rosigen Blüten wehen zart im Wind. Dein weiches Haar, duftend, wehend an meinem Gesicht, dass es schon zu kitzeln scheint und es doch nicht tut. Die Schönheit deiner Augen, doch sie strahlen mir nur noch kalt, so leer entgegen.

Ich habe dich nicht gerettet.

"Du konntest es nicht."

"Ich habe es nicht. Nach all den Dingen, die ich glücklicherweise nicht getan habe, ist dies das erste, das ich wirklich zu bereuen habe."

Sie strahlt auf jenem Bild so glücklich, den Strauß in beiden Armen. Und mit meiner ersten klagevollen Träne fällt das letzte Blütenblatt. Blutrosen sah ich nur noch auf deinem Grabe, bevor sie mit dir vergingen, und ich wusste, die Legende der unsterblichen Rose war so vergänglich wie es ein Mensch nur war.

Sie verblühte mit dir.

© Paola Baldin

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