Einsame Weihnacht
„So viele Jahre hast du mich gekostet, so unendlich viele Tränen und Nerven. Und dennoch bin ich all die Jahre bei dir geblieben, habe dich gehalten, beschützt, geliebt. Ich habe immer zu dir gestanden und nun verrätst du mich so hinterhältig. Was habe ich dir nur getan, dass du mich so abgrundtief hasst, welchen Grund kann es für eine solche Grausamkeit geben? Habe ich dir nicht alles ermöglicht, dir meine ganze Aufmerksamkeit geschenkt, alles getan, um dich glücklich zu machen, deine Träume und Wünsche zu erfüllen? Habe ich denn nicht meinen Beruf für dich aufgegeben, fast alles aufgegeben, damit du leben kannst?“
Kurz stockte er, fuhr daraufhin aber energischer weiter: „Wieso ignorierst du mich jetzt? Bin ich dir wirklich rein gar nichts mehr wert, dass du nicht mehr mit mir redest, dass du die Problematik nicht mit mir klären willst? Was bist du nur für ein grausamer Mensch, dass du so über mich urteilst, mich in die Hölle wirfst, du verschwindest ohne ein Wort jetzt einfach, obwohl du weißt, dass ich nicht ohne dich leben kann! Ich will nicht ohne dich leben, so lange habe ich für dich, für uns, gekämpft, ich war dem Ziel so nahe glücklich zu sein. Ich flehe dich an, bitte, bleibe hier bei mir, du bist alles, was ich noch habe! Wende dich nicht von mir, nicht jetzt, du bist alles, was ich noch habe. Oh bitte, ich tue alles, einfach alles, um es wieder hinzubekommen, alles, ich kann nicht mehr, ich brauche dich, so lange habe ich mich auf dich verlassen. Ich flehe dich an!“ Schluchzend sackt er zusammen, tränenüberströmt, und plötzlich herrscht eine lange Stille. Hasserfüllt blickt er langsam wieder auf.
„Mir ist egal, dass du mich verlässt. Ich ahnte von Anfang an, dass es so kommen würde, nie habe ich dir von ganzem Herzen vertraut. Du hast mich angelogen, all die Jahre, hast mir weismachen wollen, ich würde ein schönes Leben führen können. Du hast mich verraten und ich habe dir vertraut. Ja, und jetzt kniest du so vor mir, mit Tränen in den Augen, und tust als wärst du am Ende. Spiel mir doch nichts vor, ich habe dich längst durchschaut. Du brichst mir nicht mein Herz, nicht mehr. Du bestimmst nicht länger mein Leben, nur ich. Du hast so viele Fehler begangen, unverzeihliche Fehler, ich lasse keine weiteren mehr zu. Ich verlasse dich, auf ewig, und ich hasse dich.“
In der Dunkelheit rafft er sich langsam auf, blickt ein letztes Mal in den Spiegel, mit vollster Verachtung in seinen Augen, und dreht sich um. Schleppend läuft er zum Fenster und öffnet es, atmet ein letztes Mal die kalte Nachtluft ein. „Noch nie hatte ich ein schöneres Weihnachten wie dieses hier.“, ist sein letzter Gedanke und springt.
© Paola Baldin